Eine besondere Form von Trauer

Eine besondere Form von Trauer

29. November 2023

Bei dieser Begleitung geht es um einen 62-jährigen Witwer vom Land. Er hat drei erwachsene Kinder, 2 Töchter und einen Sohn.  


Als ich den Patienten das erste Mal besucht hatte, war er noch sehr fröhlich und kräftig. Heute sehe ich ein Bild des Grauens. Er hat sehr abgenommen und ist in sich zusammengefallen. Das Todesrasseln in seinem Atem ist bereits unerträglich laut. Mir ist sofort klar, dass das Sterben kurz bevorsteht. 


Sein Bruder sitzt am Bettende und massiert dem Sterbenden leicht die Füße. Seitlich sitzen die Töchter und der Sohn. Die Töchter unterhalten sich über Kleider & Schminke, machen Witze und lachen viel. Dann lässt eine von ihnen laut ein Rap-Lied laufen. 


Vorsichtig frage ich, ob ihr Vater gerne so Musik gehört hat. Lachend antwortet sie, dass er solche Musik hasste, aber ihr kleiner Sohn ihr das Lied gerade geschickt habe. 


Ich frage mich, wie man so respektlos sein kann. Es wird weiter gelacht und geredet. Der Sohn hält die Hand des Vaters, er ist sprachlos und niedergeschlagen. Dem Bruder laufen die Tränen und auch er ist sprachlos über diese Situation. Ich denke mir noch: Ist dies vielleicht eine besondere Art von Trauer? Als ich die Situation so nicht mehr tragbar finde und dem Sterbenden endlich Ruhe gönnen will, frage ich, ob ich aus dem christlichen Gebetsbuch ein paar Gebete sprechen darf. Alle nehmen das Angebot dankend an und lesen selbst der Reihe nach einige Gebete vor. Als ich das Buch nehme, um ein letztes Gebet zu sprechen, höre ich, wie die Töchter weinen und schluchzen. Vielleicht haben sie jetzt erst den Ernst der Lage begriffen. 
Es kommen nun viele Fragen auf mich zu, die ich mit der Familie im Nebenzimmer bespreche.  


Als wir wieder ins Zimmer zurückkehren, sehen wir, wie der Vater ein letztes Mal ausatmet und dann für immer still wird. Es ist eine sehr friedliche Ruhe zu spüren. Wortlos stehen alle mit gesenktem Kopf um den Verstorbenen herum. Nach einiger Zeit spreche ich das Vater Unser und helfe den Kindern dabei, den Vater noch schön herzurichten. Man spürt, wie alles trotz Stille sehr gut klappt. Nachdem der Notdienst informiert wurde, wünsche ich der Familie viel Kraft und verlasse das Haus. 
(Serkan)


Serkan Ilker ist ehrenamtlicher Sterbebegleiter. Mit seiner Kolumne bei #imländle nimmt er uns einmal im Monat zu seinen Begleitungen mit, um uns für die Themen Tod und Sterben zu sensibilisieren und diese zu enttabuisieren. Möchtest du mehr über die Arbeit von Serkan und seinen ehrenamtlichen Kolleg*innen erfahren? Dann schau mal hier.


Nach oben