War es wirklich Krebs?

War es wirklich Krebs?

22. Februar 2024

Herr B ist im Alter von 50 Jahren mit seinen 6 Kindern von Tadschikistan nach Deutschland gekommen. Vier Jahre vorher verstarb seine Ehefrau plötzlich an Krebs. Somit musste er die Kinder allein großziehen.


Er hat sofort eine Stelle als Gärtner bei der Stadt Reutlingen gefunden, wo er bis zu seiner Rente gearbeitet hat. Heute, im Alter von 82 Jahren, suchte er wegen gesundheitlicher Probleme seinen Hausarzt auf, der ihn vorsichtshalber in die Klinik einweisen ließ. Bei einer Untersuchung wurde akutes Nierenversagen festgestellt und ein Fleck entdeckt. Man ging von einem Tumor aus, obwohl keine Probe entnommen wurde.


Die Art und Weise, wie ihm die Diagnose mitgeteilt wurde, muss einen starken psychischen Schaden bei Herrn B verursacht haben. Seit diesem Zeitpunkt hat er das Essen eingestellt. Der Familie wurde im Gespräch mit den Ärzten die gleiche Diagnose mitgeteilt, obwohl diese bis heute nicht bestätigt werden konnte. 


Eine der Töchter nahm ihren Vater mit nach Hause, um sich um ihn zu kümmern.  Doch egal welches Lieblingsessen man ihm vorsetzte, er ließ es unberührt stehen. Herr B ging es von Tag zu Tag schlechter und er verlor stark an Gewicht. Nach 42 Tagen ohne Essen wurde er auf ärztlichen Rat hin in ein stationäres Hospiz verlegt.


Dort habe ich Herrn B besucht und kennengelernt. Als ich ihn fragte, ob er gläubig sei und ob ich für ihn beten dürfe, nahm er dankbar an. Während des Gebets bemerkte ich, dass es ihm guttat. Seine Kinder besuchten ihn täglich, auch wenn er das nicht mochte. Ich denke, er wollte ihnen seinen Zustand ersparen. Ich besuchte ihn immer wieder und obwohl es mir leidtat, ihn so zu sehen, respektierte ich seine Einstellung und begleitete ihn so gut wie möglich.


Nach 51 Tagen ohne Essen verschlechterte sich sein Zustand weiter. Die Familie wurde angerufen und gebeten zu kommen. Nach ihrem Abschied schlief Herr B in der Nacht friedlich ein. Ob er an einer Krebserkrankung litt oder nicht, bleibt ein Geheimnis, das weder er noch seine Familie bis zuletzt erfahren durften. Da die Familie wenig Erfahrung mit dem Sterben hatte, waren sie sehr dankbar für meine Hilfe und Unterstützung bis zum Schluss.


(Serkan)


Serkan Ilker ist ehrenamtlicher Sterbebegleiter. Mit seiner Kolumne bei #imländle nimmt er uns einmal im Monat zu seinen Begleitungen mit, um uns für die Themen Tod und Sterben zu sensibilisieren und diese zu enttabuisieren. Möchtest du mehr über die Arbeit von Serkan und seinen ehrenamtlichen Kolleg*innen erfahren? Dann schau mal hier.


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