Krebskrank und Angst vor dem Tod

Krebskrank und Angst vor dem Tod

15. Februar 2023

Dienst auf der Palliativstation. Hier entstehen oft tolle Gespräche, es wird aber auch über Tod, Angst, Glauben, Verlustängste und Schmerzen gesprochen. 
Im Zimmer liegt eine 70-jährige Frau. Man hat mir auf der Station mit auf den Weg gegeben, dass die Frau ein entstelltes Gesicht habe und ich mich beim Anblick nicht erschrecken solle.


Nachdem ich mich vorgestellt habe und mit der Patientin ins Gespräch kommen will, erzählt sie von sich aus, was sie alles so in ihrem Leben erlebt hat. Die Frau hat Brustkrebs, ihre Lunge ist von Metastasen befallen und auch der Unterleib ist voll davon. Im Gesicht hat sie einen großen Tumor, der die Hälfte ihres Gesichts bedeckt. Auf dem Tisch stehen verschiedene Tabletten sowie Utensilien, für den Fall, dass der Krebs aufplatzt. Es besteht die Gefahr, dass die Frau verblutet, denn der Tumor sitzt genau neben der Halsschlagader. 


Im Gespräch bricht sie plötzlich in Tränen aus und erzählt mir, wie sie vor 54 Jahren eine Totgeburt hatte und dies bis heute nicht verarbeitet hat. Dann leidet sie sehr darunter, dass ihre drei Söhne sie fast nie allein lassen und sich alles nur noch um sie, die kranke Mutter dreht. Ich versuche ihr zu vermitteln, dass es doch sehr schön sei, nun von ihren Söhnen, die sie einst großgezogen hat, etwas zurückzubekommen.  


Auf die Frage, ob sie gläubig ist, nickt sie leicht bejahend. Angst vor dem Sterben habe sie nicht. Sie möchte und kann mit diesen Schmerzen nicht länger leben. Traurig fängt sie erneut an zu weinen und auch ich kann mich nicht mehr zurückhalten und weine mit. Ich verspreche ihr, beim nächsten Mal mein christliches Gebetsbuch mitzubringen und ihr vorzulesen. Sie lacht, glaube ich das erste Mal, und freut sich auf meinen nächsten Besuch.  


Als ich im Türrahmen stehe, ruft sie mir hinterher. Sie wolle noch etwas, was sie mir erzählte und nicht ganz stimmte, richtigstellen. Dass sie vor dem Sterben keine Angst hat, sei so nicht ganz richtig gewesen. 


(Serkan)


Serkan Ilker ist ehrenamtlicher Sterbebegleiter. Mit seiner Kolumne bei #imländle nimmt er uns einmal im Monat zu seinen Begleitungen mit, um uns für die Themen Tod und Sterben zu sensibilisieren und diese zu enttabuisieren. Möchtest du mehr über die Arbeit von Serkan und seinen ehrenamtlichen Kolleg*innen erfahren? Dann schau mal hier.


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