Zu Hause sterben

Zu Hause sterben

16. August 2023

Bei diesem Einsatz bin ich bei der 52-jährigen Frau K. in der ambulanten Begleitung bei ihr zu Hause. Sie ist geschieden und lebt mit ihrer 21-jährigen Tochter zusammen. Der Sohn, 18 Jahre alt, lebt auf eigenen Wunsch bei ihrem Ex-Mann. Die Patientin hat Unterleibskrebs, der schon heftig gestreut hat. Trotz ihrer schweren Krankheit ist die Dame sehr stark und hat noch einiges vor. Sie sucht im Internet eine passende Wohnung für ihre Tochter, da sie sich die gemeinsame Wohnung alleine nicht mehr leisten können wird. Ihr Sohn ist arbeitslos und die beiden haben nur sporadisch Kontakt. Trotzdem versucht sie auf allen Wegen einen Job für ihn zu finden. Ihre Krankheit muss sich so lange hintenanstellen. 
Ich spreche viel mit der Patientin und erfahre, dass sie in ihrer vertrauten Umgebung sterben will, auch wenn das alleine sein sollte. Sie ist sehr dankbar, dass sie 52 Jahre alt werden durfte, denn sie hat auch viel jüngere Mütter auf der Onkologie kennengelernt, die heute nicht mehr leben. Als wir schließlich am Ende der Begleitung angekommen sind, bietet sie mir an, sie jederzeit ohne Absprache zu besuchen. Die Frau ist nicht mehr in der Lage, selbstständig aus dem Bett zu kommen. In 14 Tagen habe ich sie vier Mal besucht und der fünfte Besuch steht bevor. Gut gelaunt grüße ich schon vom Flur aus und gehe ins Zimmer. In diesem Moment sehe ich, dass Frau K. ein letztes Mal Luft holt und dann die Atmung einstellt. Sie ist mit weit aufgerissenen Augen, die an die Decke starren, gestorben. Ihre wunderschönen blauen Augen sind ganz leer. Ich war geschockt, dass sie alleine sterben musste. Es kann doch nicht sein, dass man einen sterbenden Menschen einfach alleine lässt. Hat sie im Sterbeprozess Angst oder sogar Schmerzen gehabt? Nachdem ich für sie gebetet und sie mit zusammengefalteten Händen zurechtgelegt hatte, rief ich den Notdienst an und informierte sie über die Verstorbene. (Serkan)


Serkan Ilker ist ehrenamtlicher Sterbebegleiter. Mit seiner Kolumne bei #imländle nimmt er uns einmal im Monat zu seinen Begleitungen mit, um uns für die Themen Tod und Sterben zu sensibilisieren und diese zu enttabuisieren. Möchtest du mehr über die Arbeit von Serkan und seinen ehrenamtlichen Kolleg*innen erfahren? Dann schau mal hier.


Nach oben