„Online war er ihr Held.“

„Online war er ihr Held.“

05. August 2021
In ihrem herrlich erfrischenden Gastbeitrag erzählt uns AnnaSommer (Pseudonym der Autorin) von ihrem Date mit einer Online-Bekanntschaft. Viel Spaß!

 

Da schreitet sie vor dem Bahnhof auf und ab. Sie hatte den Tag geplant mit wetter.de, Sonnenschein. Nun kämpft sie mit einem Regenschirm in einer Hand, in der anderen Hand das Smartphone. Der Bewerber aus CsC (Plattform für Partnersuche) ist im Anflug, er fährt von der Schweiz 400 km, um Anna zu sehen. Jetzt findet er den Bahnhof nicht. Sie tippt

B a h n h o f s t r a s s e. Anna fühlt sich super, langes braunes Haar, die enge schwarze Hose, weißes Top, dezent geschminkt, Sommerlaune, unwiderstehlich.

Er heißt Wilfried, das dritte Date, der dritte Versuch.

Zuvor waren es ein Josef aus Bayern, der dann in Josef 1 umbenannt wurde, danach der Josef 2 aus dem Allgäu. Beide Josefs waren eigentlich nett.

Er ist da, sie winkt ihm, er steigt aus dem Auto. Jetzt soll es „bummm“ machen.

Es macht nichts. Schon wieder nicht der Richtige. Oder vielleicht doch? Er hat so wunderbar geschrieben, online war er ihr Held. Aufmerksam, gebildet, humorvoll, ein wenig frech, selbstbewusst und positiv. Anna weiß schon, dass er vor 20 Jahren Kehlkopfkrebs hatte und durch die OP eine sehr veränderte Stimme hat. Trotzdem erschrickt sie sehr, als sie ihn zum ersten Mal sprechen hört.

Sie hat einen Ausflug geplant, als sie noch an den Wetterbericht glaubte. Egal, der Ausflug wird jetzt durchgezogen, und da oben am Himmel kommt schon wieder ein erster Sonnenstrahl durch die Wolkendecke.

Dafür ziehen jetzt in Annas Herzen die ersten dunklen Wölkchen auf. Wilfried hat den Lidl entdeckt, Anna stiefelt ihm nach, er möchte noch Getränke besorgen. Okaaaaayyy...

Die nächsten fünf Stunden werden sie gemeinsam verbringen.

Aber wozu?

Es entsteht kein Gefühl zwischen ihnen. Er redet kaum. Nicht so wie im Chat. Da war es ihr fast zu viel Geschreibe, er hat keine Ruhe gegeben. Immer noch einmal gefragt und geschrieben. Anna hatten schon die Handgelenke weh getan vom vielen Schreiben. Und nun diese belastende Stille. Ok, beim Essen und Trinken kann er nicht sprechen, hat sie schnell kapiert. Ihre besorgte Frage, ob es anstrengend für ihn ist, das Sprechen, hat er kopfschüttelnd verneint. Ja, aber er hat ja auch nicht lieb und interessiert geschaut oder sie angelächelt. Dazu braucht man ja keine Stimme. Fotos hat er viele mit seinem Handy gemacht, aber nur von der Stadt und zwei von Anna in der Stadt. Allerdings erst, nachdem sie ihn darum gebeten hatte. Dafür hat sie von ihm vier Fotos gemacht. Gott sei Dank nur mit seinem Handy.

Irgendwann war auch dieser Tag zu Ende. Auf der Rückfahrt hat er dann wieder einen Lidl entdeckt. Dieses Mal ist sie aber im Auto sitzen geblieben. „Keine Lust!!“

Daheim ist Anna dann ins Bett gefallen, an beiden Füßen mit dicken Verbänden, weil sie neue Sandalen angezogen hatte und sich beim Ausflug vom Davonrennen die Füße wund gelaufen hatte. Ok. Dafür konnte jetzt Wilfried nun wirklich nichts. Sie hätte auch einen Sack und alte Latschen anhaben können. Das hätte er mit Sicherheit nicht bemerkt.

Am nächsten Morgen war sie dann irgendwie voller Wut und hat ihm eine bissige Abschiedsmail geschrieben.

Das hat ihn dann doch irritiert, und er hätte eine Freundschaft vorgeschlagen.

„Nein, danke“, hat sie geantwortet. „Ich bin in CsC, weil ich einen Mann suche, für Freundschaft habe ich Freundinnen.“

Das war’s dann, liebes engagiertes Team von CsC.

Die AnnaSommer im Netz ist gestorben. Dieses Affentheater mache ich nicht noch einmal mit. Ich vertraue wieder meiner Intuition, meinem Charme und dem Schicksal.

Schade, meinen virtuellen Namen fand ich genial super. Schade nur um ihn.

Meinen richtigen Namen hat Gott sei Dank keiner von den drei Herren je erfahren.

 
Kommt dir die Autorin irgendwie bekannt vor? Als AnnaWinter hat sie schon einmal einen Text bei uns veröffentlicht. Hier klicken!

 

 
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