Ohne Schmerzen sterben

29. Juni 2022

Einsatz in einem Pflegeheim bei einer 86-jährigen Dame. Mir wird kurz die Zimmernummer genannt, ohne dass mir die Patientin vom Personal vorgestellt wurde.

Ich komme ins Zimmer und sehe eine süße Omi im Bett liegen. An ihren Augenbrauen merke ich, dass sie wahrgenommen hat, dass jemand ins Zimmer eingetreten ist. Ein Öffnen ihrer Augen ist aber nicht mehr möglich. Also nehme ich Platz und stelle mich vor.

Mir fällt auf, dass die Dame sehr starke Schmerzen hat, da sie sich windet und leise Schreie von sich gibt. Anscheinend bekommt sie noch keinerlei Medikamente. Ich lese ihr aus dem christlichen Gebetsbuch vor, was ihr sehr guttut, aber ihre Schmerzen nicht lindert. Dann sage ich zu mir selbst: „Nein, so nicht!“

Ich eile zur Station, die sich einige Zimmer entfernt befindet. Hier sitzt eine Pflegefachkraft, die gedankenverloren mit ihrem Handy beschäftigt ist. Ich berichte von den starken Schmerzen der Dame und bitte um Gabe eines Schmerzmittels.

Die Fachkraft bestätigt mir, das Geschrei die ganze Zeit über schon gehört zu haben, aber nichts machen zu können. Das Morphium sei zwar bestellt, aber der Apotheker könne dieses erst nach Schließung der Apotheke bringen.

Die Zeit scheint fast stillzustehen. Nach drei harten Stunden kommt endlich das Morphium, was der Dame gleich verabreicht wird.

Dieser Vorfall geht mir sehr ans Herz, weshalb ich ihn sofort an unsere Einsatzleitung weitergebe. Sie tritt mit dem Pflegeheim in Kontakt und sagt ihnen klar, dass immer eine Pflegefachkraft für Schmerzlinderung vor Ort sein muss.

Hier habe ich leider gelernt, dass nicht jedes Pflegeheim oder jede Schicht gleich arbeitet. Es sollte nicht sein, dass Sterbende, die sich in der letzten Lebensphase befinden, auch noch Schmerzen leiden müssen.

(Serkan)

 

Serkan Ilker ist ehrenamtlicher Sterbebegleiter. Mit seiner Kolumne bei #imländle nimmt er uns einmal im Monat zu seinen Begleitungen mit, um uns für die Themen Tod und Sterben zu sensibilisieren und diese zu enttabuisieren.

Möchtest du mehr über die Arbeit von Serkan und seinen ehrenamtlichen Kolleg*innen erfahren? Dann schau mal hier.