„Ist das die Sucht? Ich weiß es nicht.“

„Ist das die Sucht? Ich weiß es nicht.“

30. September 2020
Wir haben vor einer Weile diesen tollen Gastbeitrag zugesandt bekommen. Die Autorin, die anonym bleiben möchte, ist Großmutter eines Suchterkrankten und teilt ihre Gedanken in einem berührenden Text mit uns.

Danke.

 
Mein Ich spielt mir einen Streich.

Wie kann es sein, dass ich von der Selbsthilfegruppe „Eltern von suchtgefährdeten und suchtkranken Töchtern und Söhnen“ nach Hause komme und den Kühlschrank leer, Entschuldigung, „fresse“??

Es verschwinden Mengen von Brot, Käse und Wurst in meinem Bauch. Dazu schenke ich mir kräftig Weißwein ein, dies alles im Stehen in der Küche.
Es verwischen sich bei mir meine Vorstellungen von Anstand und Vernunft.

 

Jetzt sind noch die Eszet-Vollmilch-Schnitten dran, alle zehn verschwinden schnell und ohne Geschmackserlebnis in meinem Mund.

Wann werden mein Bauch und mein Geist endlich zufrieden sein? Bis ich platze?

 

Endlich Ruhe...


 

Ich kann mir nur ganz vage und ungefähr vorstellen, wie es sich anfühlen muss, wenn ich eine Sucht befriedigen muss. Wenn sie schreit.

Wie elementar wird es für die Seele und den Körper eines abhängigen Menschen sein, wie lebensnotwendig. Wenn sie oder er etwas braucht, Alkohol, Kräutermischungen, Cannabis, Ecstasy, LSD, Morphine, Benzos, Speed, Heroin, Koks, Crystal Meth,  ...

 
Ein schrecklicher, unerträglicher Gedanke. Er macht uns Angst. Solche Angst.

 

ER ist fahrig, unruhig, null belastbar, stumpf, unterernährt, krank, blass, empathielos, verlogen, verschlagen, freudlos, ohne Wärme, ohne Boden unter den Füßen, schlaflos, wahnsinnig, verletzt.

 
Ist das die Sucht?

Ich weiß es nicht.

 

 

November 2019


AnnaWinter


Oma und Co-Abhängige eines 17-jährigen Jugendlichen, der bis vor drei Jahren noch ein wunderbarer, glücklicher Junge war.



 

 
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