In Würde leben bis zum Tod
28. Juli 2021
Ich bekomme einen Anruf von meiner Einsatzleitung. Am Telefon werde ich gefragt, ob ich eine ältere Dame, die im Seniorenzentrum liegt, am Folgetag besuchen kann. Die Tochter ist gestürzt und hat sich das Becken gebrochen und ist mit 80 Jahren nicht mehr mobil, womit sie als einzige Verwandte nicht mehr zur Mutter zu Besuch kann und aus diesem Grund bei uns im
Hospiz die Anfrage kam.
Für mich ist klar, dass ich die Begleitung machen werde, bin aber verwundert, wie die Tochter doch schon 80 Jahre alt sein kann. Auf meine Nachfrage bekomme ich die Antwort, dass die Mutter 105 Jahre alt ist und nun sehr abbaut und ihr womöglich die letzten Tage bevorstehen. Mit Herzklopfen nehme ich die Begleitung an und mache mich dann am nächsten Tag sehr gespannt auf den Weg zu ihr. Im Heim begegne ich ihr dann, einer sehr süßen schlafenden Person. Sie nimmt mich sofort wahr und sagt etwas, was ich nicht verstehen kann. Ich stelle mich vor und sage ihr, dass ich ein Besucher bin und an ihrem Bett sitzen und wachen werde. Die Dame schläft wieder ein und kann von allem abgesehen mit ihren 105 Jahren noch richtig gut schnarchen.
Innerlich wünsche ihr eine schmerzfreie Restzeit und lese aus dem christlichen Gebetsbuch Gebete vor.
Als ich die Terrassentüre öffne, damit sie nochmals die Natur riechen kann, merke ich bei jedem Zwitschern der Vögel, wie die Augen der Dame blinzeln. Sie genießt es, indem sie immer wieder tiefer atmet. Ich merke, dass Frau S. sehr müde ist und streichle ihren Oberarm. Es tut ihr gut, da bin ich mir ganz sicher, denn sie lässt es ohne Reaktion zu.
Hin und wieder sagt sie sehr laut „Halleluja, Halleluja“ und schlummert dann wieder ein.
Hospizbegleitung heißt: in Würde leben bis zum Tod.