Einfach Kind sein dürfen

Einfach Kind sein dürfen

15. Juli 2021 Anna ist ein schmales Mädchen von neun Jahren mit Zöpfen und wachem Blick. Sie lacht viel und laut und plappert ohne Unterlass. Auf den ersten Blick ein unbeschwertes Kind, doch Anna ist alles andere als das. Sie hat gelernt, die Fassade aufrecht zu erhalten und reißt sich mit aller Macht zusammen. Jeden Tag. Denn ihre Mutter ist alkoholabhängig und psychisch labil und schafft es nicht, sich um ihre Kinder zu kümmern, der Vater ist schon lange nicht mehr da.

Für die meisten gesunden Menschen waren die Lockdowns schon eine sehr große Herausforderung, für vorbelastete Menschen aber wurden oft Ausnahmesituationen daraus. Für Kinder, die diese Zeit mit ihren psychisch- oder suchtkranken Eltern verbringen mussten, ohne zwischendurch in die Schule oder den Kindergarten entfliehen zu können, war es sicher oft kaum auszuhalten. Die Zahlen der im Mai veröffentlichen Kriminalstatistik bestätigen, dass die Lockdowns das Problem der Gewalt gegen Kinder massiv verschärft haben.

Rein statistisch gesehen leben in Reutlingen etwa 3000 Kinder, deren Eltern suchtkrank sind. Die Dunkelziffer dürfte um einiges höher liegen. Dazu kommen Kinder von psychisch kranken Eltern. Diese Kinder brauchen Hilfe und einen Ort, an dem sie wenigstens einmal die Woche einfach Kind sein dürfen. Den bietet der Reutlinger Verein „Vergessene Kinder“ in zwei Wochengruppen, die von SozialarbeiterInnen angeboten werden. Der Verein kümmert sich seit den 90ern um Kinder von psychisch und/oder suchtkranken Eltern, seit drei Jahren unter dem Dach der Oberlin Jugendhilfe.

Bislang sind die Gruppen für Kinder von 6 bis 12 Jahren, Jugendliche bleiben außen vor. Doch das soll sich dank SpenderInnen und SponsorInnen ändern. Denn es geht nicht nur um vergessene Kinder, sondern auch um jene, die sich aufmachen, erwachsen zu werden, um nach einem schwierigen Start ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
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