Eine außergewöhnliche Frau

Eine außergewöhnliche Frau

17. August 2022

Nach fast 30 Jahren werde ich von einer Freundin angeschrieben. Ihre Schwägerin Paola, 52 Jahre, liegt im Sterben. Sie hat Magen-Darm-Krebs und wiegt nur noch 38 kg. Paola ist austherapiert und bekommt auf eigenen Wunsch keine lebenserhaltenden Medikamente mehr. Zu Paola hatte ich früher eine sehr gute Beziehung.

Ich gehe zum Erstgespräch zu Paolas Schwester, bei der sie jetzt lebt. Eine ganz tolle italienische Familie. Nach über drei Stunden wissen wir, was als nächstes zu tun ist. Ich spreche mit den Kollegen auf der Palliativstation. Drei Tage später wird Paola dort aufgenommen und fühlt sich gleich sehr wohl.

In den 9 Jahren in denen ich nun als ehrenamtlicher Sterbebegleiter arbeite, habe ich keine so starke Person wie Paola kennengelernt. Sie weiß, dass ihre Tage gezählt sind. Ihre Beerdigung, den genauen Ablauf und die Todesanzeige hat sie bereits selbst geplant, da sie niemandem Arbeit machen will. Paola ist sehr dankbar und trotz der Umstände lebensfroh und lacht viel. ️

Nach einer Woche auf der Palliativstation merkt sie, dass ihre Kräfte schwinden und die Schmerzen zunehmen. Sie kann und will auch nicht mehr. Die Schmerzmittel werden erhöht.


Eine Woche später komme ich morgens um 06.30 Uhr zu Paola. Der Tod steht ihr nun schon deutlich ins Gesicht geschrieben. Ich sitze neben ihr, halte ihre Hand und lese viel aus dem Gebetsbuch vor.


Später kommen 2 Frauen aus Paolas Familie dazu. Um 11.05 Uhr beginnt die Schnappatmung einzusetzen. Nach wenigen Minuten macht sie die letzten Seufzer und schläft in meinen Armen ein.

2 Pflegerinnen richten Paola ganz toll her. Als wir wieder ins Zimmer dürfen, liegt sie gebettet in einem Meer aus Rosen und sieht nun wirklich aus wie ein Engel.

Paola wurde die ganze Zeit über von lieben Menschen begleitet, sehr tolle Freundinnen, die sie auch in ihren letzten Stunden nie alleine gelassen haben und die sie nicht vergessen werden. 


(Serkan)


 



Serkan Ilker ist ehrenamtlicher Sterbebegleiter. Mit seiner Kolumne bei #imländle nimmt er uns regelmäßig zu seinen Begleitungen mit, um uns für die Themen Tod und Sterben zu sensibilisieren und diese zu enttabuisieren.


Möchtest du mehr über die Arbeit von Serkan und seinen ehrenamtlichen Kolleg*innen erfahren? Dann schau mal hier

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