Wenn er zuschlägt und die Welt tiefschwarz wird

Wenn er zuschlägt und die Welt tiefschwarz wird

14. September 2017
Jede vierte Frau ist Opfer häuslicher Gewalt.

Darüber und über die Arbeit des Frauenhauses Zollernalb habe ich vor einiger Zeit berichtet. Aber: Statistik und Realität sind zwei paar Stiefel. Als ich erfuhr, wie viele betroffen sind, war ich schockiert. Als mich Giulia und Sabine, zwei betroffene Frauen, zu Hause besuchen, ist es mehr als das: Plötzlich sitzt die Statistik auf meiner Couch. Und zwar so herzzerreißend, dass von Zahlen keine Rede mehr sein kann.

Das ist das echte Leben.

Giulia wirkt schüchtern. Auf den ersten Blick sehe ich eine zierliche, hübsche Frau mit langen dunklen Haaren. Auf den zweiten Blick fallen mir ihre großen, smaragdgrünen Augen auf. Sie funkeln entschlossen und sind gleichzeitig sehr müde. Oft sind es die Augen, die die Geschichte eines Menschen erzählen, aber viel zu selten nehmen wir uns die Zeit, im Blick des anderen zu verweilen. Giulia senkt den Blick auf den Boden, als ich ihn suche.
Die 27-Jährige erzählt von ihrem Schicksal.

Guilas Eltern sind Tunesier und leben in Genua. Dort wächst sie mit ihren Geschwistern auf. Sie spricht fließend italienisch, französisch und tunesisch und studiert Kunst und Musik an der Uni. Ein intelligentes, aufgewecktes Mädchen, das davon träumt, irgendwann in Madrid zu leben und zu arbeiten. Ihre Eltern zieht es immer wieder in ihr Heimatland zurück. Während eines längeren Aufenthalts in Tunesien lernt Giulia ihren Ehemann Tarek kennen. Der ist elf Jahre älter, aber das macht nichts. Die Liebe kennt keine Grenzen. Die beiden heiraten und Tarek kommt mit nach Italien. Sein großer Traum hat jedoch keine Gemeinsamkeit mit Giulias.
Er will nach Deutschland. Der Plan steht fest, die Ehefrau muss mit.

Giulia lenkt ein und zieht ohne Freunde, ohne Familie und ohne Deutschkenntnisse mit ihrem Mann nach Reutlingen. Die beiden leben in einer kleinen Etagenwohnung. Tarek kommt die Abhängigkeit seiner Ehefrau gerade recht. Je weniger sie weiß und kann, umso weniger Ärger macht das junge Ding. Der Ärger bleibt dennoch nicht aus. Giulia bekommt heraus, dass Tarek den Treueschwur nicht ganz so ernst nimmt und sie seine zweite Ehefrau ist. Die erste lebt in Tunesien.
Der Glaube an die große Liebe zerbricht auf dem Boden der Tatsachen.

Doch Tarek weiß sich mit seinem Charme zu helfen. Er fleht um Verzeihung und schafft es, Giulia zu beruhigen. Sie bleibt bei ihm. Lange hält seine sanftmütige Art nicht an. Der Ton wird rauer, die Rollenverteilung ganz deutlich gemacht: „Du bist meine Frau. Du kochst für mich, bleibst zu Hause, hältst die Wohnung sauber und stillst meine Bedürfnisse, die ich als Mann habe, und das, wann immer ich sie habe.“
Die Situation ist unerträglich und dann wird Giulia zu ihrem großen Entsetzen auch noch schwanger. Sie will sich scheiden lassen, zurück nach Italien gehen, die Welt bereisen und in einem Kunstmuseum arbeiten. Stattdessen hockt sie mit Anfang zwanzig einsam in einem Wohnblock in Reutlingen. Sie hat keine Freunde und kennt niemanden in der Stadt. Mittlerweile hat sie außerdem Angst vor den unberechenbaren Launen ihres Ehemanns.
Und jetzt ein Baby mit diesem Mann?

Auch wenn sie sich anfangs dagegen wehrt, mit dem Baby im Bauch fängt Giulias Mutterherz zu schlagen an. Die junge Frau bleibt. 2012 kommt Julian zur Welt. Der kleine Sonnenschein bringt Licht in ihren dunklen, oft aussichtslosen Alltag. Tarek kümmert sich einen Scheiß um seinen Sohn. Unter der Woche arbeitet er, am Wochenende geht er mit seinen Freunden feiern. Giulia hingegen bekommt Ärger, wenn sie nur mit anderen spricht. Manchmal lädt sie die Nachbarin von gegenüber zum Kaffee ein. Oft traut sich die junge Mutter nicht. Wenn Tarek das erfährt, ist der Teufel los!

Zur Sprachschule darf sie trotzdem gehen. Das hat einen wichtigen Grund: Wenn Giulia Deutsch lernt, bekommt sie Geld vom Amt. Das Geld fließt auf ihr Bankkonto, das Tarek verwaltet, weshalb sie lange nichts davon weiß. Wenn Giulia einkaufen geht, muss sie ihn fragen. Für Babyklamotten oder neue Schuhe gibt’s selten was. Wann immer die verzweifelte Mutter versucht, den Schlussstrich zu ziehen, lenkt ihr Mann ein, bettelt, weint und wimmert um Verzeihung. Vielleicht ist es das gemeinsame Kind, vielleicht ist es die leise Hoffnung, dass er endlich begreift, wie weh ihr sein Wesen tut.
Mit dem ersten Schlag stirbt der letzte Funken Hoffnung.

Als ihr Ehemann auch vor dem kleinen Julian nicht haltmacht, wird Giulias Welt tiefschwarz. Wenige Tage später eskaliert die Situation noch weiter. Giulia kocht Brokkoli zum Abendessen. Tarek kommt von der Arbeit nach Hause, pfeffert seinen Rucksack auf den Küchenstuhl, packt seine Frau an den Haaren, reißt sie zu Boden und prügelt auf sie ein.
Warum?
Tarek hasst Brokkoli.
Guila schreit in Todesangst um Hilfe. Ihr Mann brüllt, ihr Kind weint.
Die Nachbarin von gegenüber will nicht weghören und macht genau das Richtige: Sie ruft die Polizei.
Die Beamten retten die junge Frau und ihren Sohn aus der Hölle.

Seither ist ein knappes Jahr vergangen. Giulia und Julian leben im Frauenhaus. In Sicherheit sind sie leider nur bedingt. Tarek gibt nicht auf. Es geht um Macht. Wäre ja gelacht, wenn er die kleine Göre nicht zur Vernunft bringen könnte. Aus dem ersten Frauenhaus musste Giulia flüchten, weil ihr Ehemann herausfand, wo sie war. Sein Druckmittel ist von Anfang an das Kind: Er hat das gemeinsame Sorgerecht. Auch wenn er handgreiflich wird, hat er nach dem Gesetz das Recht, Julian zu sehen.

Im neuen Frauenhaus scheint Ruhe einzukehren. Tarek kennt ihren Aufenthaltsort nicht, auch von seinem Anwalt kam lange kein Schreiben wegen des Besuchsrechts mehr. Der Blick in die Zukunft wird heller, die Hoffnung auf ein friedliches Leben größer.
Hier sollte die Geschichte enden.

Kurz bevor ich lächeln kann, erhasche ich die Traurigkeit in Giulias smaragdgrünen Augen. „Tarek hat gestern herausgefunden, wo wir sind. Er droht, Julian nach Tunesien zu verschleppen. Ich kann nicht mehr. Ich will, dass die Hölle ein Ende hat.“
Das macht mich sprachlos. Ich würde gerne helfen, aber ich weiß nicht, wie. Was an dieser Stelle bleibt, ist ein Gruß, der aus tiefstem Herzen kommt: Giulia, ich wünsche dir und deinem Sohn Frieden, ein Leben ohne Angst und dass die Hölle endlich ein Ende hat.

 

Sabine erzählte mir an jenem Tag ebenfalls ihre Lebensgeschichte. Auch über ihr Schicksal werde ich #imländle berichten. Lasst uns hinschauen und bereits damit ein Zeichen gegen häusliche Gewalt setzen.

 

 

 
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