„Man hat die Schnauze voll, Sklave der Sucht zu sein.“
17. Dezember 2020
„Man hat die Schnauze voll, Sklave der Sucht zu sein. Nichts machen zu können, ohne zu schauen: hab ich genug dabei? Das nervt.“
Tobias war jahrelang süchtig nach Opiaten – psychoaktive Substanzen, hochwirksame Schmerzmittel. Sein Weg in die Sucht war ein kontinuierlicher. Mit ungefähr dreizehn Jahren fing er an, Alkohol zu trinken und den Rausch zu genießen, irgendwann kam auch Cannabis dazu:
„Ich war nie von Drogen abgeneigt, sondern immer sehr experimentierfreudig.“
Tobias Job wurde ihm zum Verhängnis, denn als er eine Ausbildung zum Krankenpfleger machte, verlagerte sich seine Sucht. Die starken Medikamente waren ihm leicht zugänglich und so fing er an, sich daran zu bedienen.
„Opiate haben das angenehmste Gefühl gemacht und deswegen bin ich da geblieben. Man ist losgelöst, glücklich und zufrieden. Am Anfang noch, aber das schwächt ab“, erzählt Tobias.
Damals war er Anfang 20. Zunächst klaute er die Mittel nur hin und wieder aus den Arzneischränken der Einrichtung, in der er arbeitete. Doch die Häufigkeit nahm zu, bis der Diebstahl auffiel.
„In der Sucht selbst sowas zu erkennen, ist schwierig. Der ganze Tag dreht sich um das Suchtmittel. Es ist jeden Tag ein neuer Kampf. Ich habe erst verstanden, dass ich süchtig bin, als ich aufgewacht bin und schon was gebraucht habe“, so Tobias.
Es folgten einige Jahre, in denen sich der Kreislauf von Therapie, Cleansein und Rückfällen mehrmals wiederholte:
„Mein Hausarzt hat mir die Mittel irgendwann verschrieben, damit ich sie nicht klauen oder von der Straße beschaffen muss. Es war ein Lernprozess, einzusehen, dass der Job mir nicht dabei hilft, davon wegzukommen. Ich habe gelernt, dass es so keinen Wert hat, sonst geht der Kreislauf mein restliches Leben so weiter.“
Cleansein ist für Tobias Lebensqualität:
„Ich merke, dass das Leben ohne Sucht deutlich mehr Spaß macht. Ich kann wieder von Herzen lachen. Und ich sehe die schönen Dinge. Das Leben ist lebenswert.“
Doch der Weg dahin war kein einfacher, der Entzug hart.
„Das Schlimme ist der Schlafentzug. Über eine Woche lang. Es ist schrecklich, man könnte nur weinen. Man hat Schmerzen in den Beinen. Es zehrt sehr an den Nerven. Man ist fast am Aufgeben“, berichtet Tobias.
Die gängigen Suchthilfeangebote betrachtet er rückblickend kritisch. Er selbst meint, sie hätten ihm nicht so viel gebracht:
„Man schmeißt die Suchtkranken immer in einen Topf. Das ist ein großes Problem! Viele wollen gar nicht aufhören. Das sollte dringend geändert werden. Ein erster Schritt wäre, dass man sie in den Gruppen voneinander trennt.“
Außerdem müsse man viel zu lange für einen Platz in der Entzugsklinik warten. Kein Wunder! Die Stationen seien überfüllt, es gebe zu viele Suchtkranke. Außerdem findet Tobias, die theoretische Aufklärung komme bei der Therapie eindeutig zu kurz.
Sucht ist eine Krankheit, keine Willensschwäche. Auch Tobias ist überzeugt, dass der Wille allein ausreicht, um eine Sucht zu besiegen:
„Ich dachte immer nach dem Entzug, dass ich nicht mehr abhängig und damit geheilt bin. Das ist der falsche Gedanke. Neben der körperlichen Abhängigkeit vergisst man die psychische. Die psychische ist aber auf jeden Fall die ausschlaggebende.“
Seine Schüchternheit und der fehlende Selbstwert seien bei ihm diese Komponenten gewesen, die er mit der Sucht zu kompensieren versuchte:
„Ich musste lernen, dass ich mich verändern muss. Ich muss Ziele haben und mir Hoffnung machen. Und vor allem muss ich mich mit mir selbst und meinen Problemen beschäftigen. Selbstreflexion und Selbsttherapie sind der einzige Weg aus der Sucht.“
Danke für dein Vertrauen, von ganzem Herzen, lieber Tobias.