Weihnachtspost aus dem Knast

Weihnachtspost aus dem Knast

25. Dezember 2019
Mein Name ist Raphael, ich bin 35 Jahre alt und war in meinem Leben bisher fünf- bis sechsmal im Knast. Ich hab aufgehört zu zählen. Ich bin mit siebzehn Jahren das erste Mal zu Hause rausgeflogen. Ich denke, du kennst die wilde Phase der Jugend, in der die schiefe Bahn extrem verlockend ist. Du bist wahrscheinlich davon weggekommen, hast den geraden Weg gewählt. Bei mir lief es schief. Ich sitz seit 2016 wieder hinter Gittern und komme in drei Jahren raus. Jetzt bin ich erst mal hier und erzähle dir, wie sich die Feiertage für mich anfühlen.

 

Egal ob Christ, Moslem, Buddhist, Jude, Atheist oder sonst ein Glaube oder eine Überzeugung, ich bin davon überzeugt, dass die Feiertage an keinem hier drin spurlos vorbeigehen.
Das Kopfkino fängt Anfang Dezember an

In der Zeit, in der andere das Fest planen, quält mich die Tatsache, dass meine Familie, Freunde und Verwandten unerreichbar sind. Na ja, und natürlich mach ich mir Gedanken darüber, wie alles so weit kommen konnte … dass ich im Knast sitze und wie lange das noch dauert, bis ich rauskomme, und was wohl danach passiert.
Es macht mir Angst

Ich glaub, dass sich viele Angehörige da draußen in der besinnlichen Zeit mehr Gedanken über die Menschen machen, die im Gefängnis sitzen, weil man dann einfach noch mehr fehlt als sonst. Viele von uns fehlen jedoch keinem mehr. Manche bekommen seit Jahren keinen Besuch, haben niemanden, der schreibt oder für einen im Herzen da ist. Warum das so ist, weiß nur derjenige selbst. Darüber spricht man nicht gerne.

Einige ziehen sich in der Adventszeit von Tag zu Tag mehr zurück. Manche besorgen sich viel zu teure Drogen und ballern sich das falsche Glück der Seligkeit in die Birne. Die Suizidgefahr ist größer als sonst. Das ist bitter in der Zeit der Nächstenliebe. Das nennt man Einsamkeit.
Ich hab mir schon öfter gewünscht, dieses fucking Weihnachten zu verschlafen

Was für die einen Glück und Freude bedeutet, bedeutet für die anderen Trauer und Depression. So ist das nun mal. Ansonsten merkt man in der JVA an manchen besonderen Gegebenheiten, dass was anders ist als sonst. Der Pfarrer kommt vorbei und verteilt Geschenke. Ach ja, und bei uns gab es diesmal ein Weihnachtsessen im Betrieb, ich mach da gerade eine Ausbildung. Ich kann dir sagen, das Rührei und die Mezzo Mix waren der Knaller. Sonst schmeckt der Fraß nicht sonderlich, aber dieses Essen war wirklich de luxe.

In manchen Flügeln hängt ein Adventskranz oder steht ein Weihnachtsbaum mit elektrischen Kerzen, auf Höhe des Beamtenbüros im zweiten Stock und aus Sicherheitsgründen weit weg von uns.
Sicherheit wird großgeschrieben

Päckchen sind verboten, geschickt werden darf das, was in einen Briefumschlag passt, und auch hier gibt es Regeln. Weißt du, ich bin so ein Graffiti-Sprayer. Bilder und Grafiken find ich ziemlich geil. Ich zeichne die ab, wenn ich sie per Post bekomme. Das ist ein guter Zeitvertreib. Die Drucke werden mir meistens abgenommen. Das ist Scheiße! Ich denke mal, weil man sie als Tattoo-Vorlage missbrauchen könnte. Geldsendungen sind per Monat auf knapp siebzig Euro begrenzt. Wenn ich neben der TV-Miete und dem Tabak (nein, ich hab’s leider bisher nicht geschafft, davon loszukommen) mal etwas auf der hohen Kante haben sollte, werde ich mir ein Bruno Banani Eau de Toilette bestellen. Einfach so, weil es mein Lieblingsparfüm ist.
Zur Weihnachtszeit scheint mir Geld am unwichtigsten

Ich stell mir die Feiertage in Freiheit simpel vor. Mit meiner Schwester und den Kids. Wir sitzen an einem großen Holztisch. Schauen den Kindern beim Auspacken der Geschenke zu, haben Spaß und lachen viel. Ja, lachen wäre gut. So einen Holztisch gibt es hier drin nicht und darauf werde ich noch ne Weile verzichten.

Wenn ich so darüber nachdenke, glaube ich, den Bezug zu Weihnachten verloren zu haben. Ich kann mit der Freude nicht mehr viel anfangen. Es scheint alles surreal. Sei es drum. Ich bin froh, dass ich nicht vergessen werde, und noch glücklicher bin ich darüber, dass für mich die Zeit kommen wird, in der ich frei sein werde, die Freude hoffentlich wiederfinde und mir Weihnachten nicht mehr wie ein schlechter Traum vorkommt.

Pass auf dich auf und bis bald.

Raph

PS: Hast du Fragen? Schreib sie an #imländle. Ich bekomme sie per Post und antworte dir gerne.
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