Jedes Zimmer ein anderes Schicksal

Jedes Zimmer ein anderes Schicksal

21. Juli 2022

Ein Einsatz in einem Reutlinger Behindertenheim. Hier liegt ein 76-jähriger männlicher Patient, der schon im Alter von 25 Jahren einen Motorradunfall hatte und seitdem vom Kopf abwärts komplett gelähmt ist.


Er ist schon seit 43 Jahren in dieser Einrichtung und sehr beliebt. In letzter Zeit hat er aber sehr abgebaut, es wurde Blut im Urin gefunden und sein Zustand hat sich altersbedingt verschlechtert.


Die Einrichtung nahm zum ambulanten Hospizdienst Reutlingen Kontakt auf und bat darum, hier eine sogenannte Sitzwache zu übernehmen. Mir wurde dieser Auftrag übergeben und ich bin ab sofort bei Herrn K. im Einsatz.


Herr K. muss trotz Behinderung früher sehr aktiv gewesen sein. So hat er in einem speziellen Rollstuhl einen integriertem Augen-Scanner, um Briefe mit Hilfe seiner Blicke und Augenbewegungen schreiben und Videos schneiden zu können.


Minimal bekommt er auch noch ein paar Worte leise ausgesprochen, womit wir etwas miteinander sprechen können.


Wenn ich in diesem Heim durch die dunklen Flure laufe und vorsichtig links und rechts in die Zimmer schaue, macht es mich immer traurig und gibt mir sehr zu denken. Hier liegen Menschen mit verschiedensten Behinderungen. Jedes Zimmer ein anderes Schicksal. Dem einen läuft der Speichel aus dem Mund, bei einem anderen hängt der halbe Körper im Bettgitter drin. Ein weiterer klopft mit seinem Wasserbecher auf den Holztisch, was in der ganzen Etage zu hören ist.


Es ist für mich ein sehr trauriges Erlebnis, zu sehen, wie manche Menschen leben müssen, aber dennoch gut versorgt werden.


Auch diese Menschen gehen ihren eigenen Weg im Sterben und werden von uns ohne Unterschied gleich behandelt. Diese Art von Begleitungen haben es immer sehr in sich, aber auch das gehört zu unserem Angebot.


(Serkan)


Serkan Ilker ist ehrenamtlicher Sterbebegleiter. Mit seiner Kolumne bei #imländle nimmt er uns einmal im Monat zu seinen Begleitungen mit, um uns für die Themen Tod und Sterben zu sensibilisieren und diese zu enttabuisieren.



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