„Du wirst sterben“

„Du wirst sterben“

19. Oktober 2021 Dass ich meinen Bekannten nun bis zu seinem Versterben begleiten werde, ist mir klar. Bei den Besuchen sehe ich richtig, welche Veränderungen er durchmacht. Er hat mittlerweile Lungenkrebs und Hirnmetastasen, was ihn hin und wieder sehr durcheinander bringt. Er ist trotz allem zufrieden, klagt nicht über Schmerzen und versucht sein Schicksal anzunehmen.

Ich merke, dass seine Ehefrau mich sehr hilflos anschaut, weshalb ich sie irgendwann einfach frage, was ihr auf dem Herzen liegt. Auf mein Fragen sagt sie zu mir, dass sie nicht sicher sei, ob ihr Mann überhaupt weiß, dass er sterben wird. Weder er noch seine Frau sprechen über die Krankheit, sie wird totgeschwiegen.

Sie bittet mich, mit ihm drüber zu sprechen und ihm klarzumachen, dass es dem Ende zu geht.

In einem passenden Moment atme ich tief ein und nehme meinen Mut zusammen. Ich kann mein Herz laut klopfen hören. Ich schaue ihn ganz direkt an, konzentriere mich auf seine Mimik und sage dann, dass ich seine Krankenakte durchgelesen habe und ob ihm das alles bewusst sei. Er schaut mich nur fragend an.

Ich mache ihm auch klar, wieso seine Schwester plötzlich nach Deutschland gereist ist und wieso sein Sohn nicht wie sonst in den Urlaub gefahren ist.

Nach einigen Minuten sagte er zu mir: „Ich habe immer so auf mich aufgepasst und muss nun sterben.“

Spätestens jetzt ist die Einstellung des Sterbenden nicht mehr so wie bis zu diesem Moment.

Wie die Reaktion auf die Konfrontation mit der Tatsache des baldigen Sterbens aussieht, kann man bei keinem Menschen vorher abschätzen.

Kurze Zeit später findet er im Beisein seiner tollen Ehefrau und seiner Schwester nachts um 02.10 Uhr seinen Frieden.

Es ist so beruhigend, wenn man weiß, dass die Menschen zuhause in ihrer vertrauten Umgebung versterben dürfen.

(Serkan)

 

 
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